Und Indianer spüren doch einen Schmerz
Meine Jungs sind unglaublich emotional, feinfühlig und können ihre Gefühle mit Wort und Körper extrem gut ausdrücken. Neulich hat mein älterer Sohn der Gedanke gepackt, dass ein Elternteil sterben könnte, auch wenn es (so hoffe ich) keine offensichtlichen Gründe dafür gab. Er brach in Tränen aus und war kaum noch zu beruhigen.
Jedes Elternteil wird mir zustimmen wenn ich sage, dass die ungezügelte Emotionalität von Kindern manchmal überfordernd sein kann. Aber ist unsere Vorgehensweise immer weise?
Ist das Kind traurig, möchte man es augenblicklich trösten und ihren Schmerz beenden. Ist es grantig geben wir kluge Argumente ab, warum es nicht angebracht oder übertrieben ist. Ist es ängstlich haben wir ebenfalls wissenschaftlich belegte Antworten parat, die die Angst augenblicklich in Luft auflösen sollen. Doch funktioniert das wirklich?
Warum fällt es uns so schwer unseren Kindern den Schmerz zu erlauben?
Meiner Erfahrung nach liegt es daran, dass es was mit uns selber “etwas” macht und wir damit nicht umgehen können. Es ist also weniger das Kind und dessen Schmerz, als der Schmerz, der in uns ausgelöst wird und der uns überfordert. Wir leiden mit unserem Kind mit und sobald wir das nicht mehr aushalten, versuchen wir durch eigens entwickelte Strategien das Kind zum Schweigen zu bringen – um es brutal auszudrücken. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Strategie auf verbale oder körperliche Kraft oder gar Gewalt basiert oder auf Verhätscheln, Verwöhnen oder Argumentieren, um den Schmerz zu lindern. Die Tatsache bleibt bestehen, dass in vielen Fällen das Kind seinen Schmerz nicht ausfühlen kann. Aber genau das ist unsere Hauptaufgabe als Eltern – Kindern zu erlauben, emotional und gesund frei groß zu werden – neben den 1000 anderen Aufgaben als Eltern ;-).
Wie erlaube ich meinem Kind nun, seinen Schmerz auszufühlen?
Das ist einfacher als du denkst: Bleibe bei dir und werde dir deiner eigenen Gefühle und Gedanken bewusst, während das Kind seine Emotionen zeigt. Und das aller wichtigste: Gib den Emotionen deines Kindes und deinen eigenen Emotionen Raum: Also erlaube ihnen, da zu sein. Leiste keinen gedanklichen Widerstand. Darin liegt die Herausforderung. Du wirst dich am Anfang wie eine Rabenmutter oder ein Rabenvater fühlen, so als ob du dein Kind im Stich lassen würdest. Aber wenn du dabei bleibst, einfach nur da bist ohne zu argumentieren, das Kind möglicher Weise still in den Arm nimmst wenn es das will (jedes Kind ist anders), dann können wahre Wunder geschehen.
Bleib mit der Aufmerksamkeit auf deinem eigenen Schmerz und schenke dem Beachtung und erlaube deinem Kind und dir, die Emotion zu fühlen.
Du wirst sehen, die ist in einigen Minuten vorbei und ihr seid beide klar genug, für eine Lösung. Und das Kind wird die Lösung akzeptieren, wenn es eine gibt, weil es nicht deine eigene Lösung ist, welche aus den eigenen Emotionen, Gedanken und Erfahrungen produziert worden ist. Und du wirst deinem Kind nicht die Idee in den Kopf setzen, dass Gefühle etwas ungewolltes sind oder noch schlimmer: dass das Kind denkt, es sei nicht in Ordnung, wie es ist.
Konkretes Beispiel Wut:
Mein Sohn spielt gerne Computer Spiele. Ein Spiel in der Liste ist Fortnite. Das ist ein sehr beliebtes Shooting Spiel, bei dem Spieler auf der ganzen Welt gegeneinander antreten. Auch wenn ich nicht ganz einverstanden bin damit scheint es ihm zu gefallen. Außer natürlich, er verliert oder etwas gelingt ihm nicht. Dann kann er “ragen” (englisch ausgesprochen ist das ist ein jugendlicher Ausdruck für in Wut ausbrechen). Wenn er dann beim Ragen ist, ist er kaum zu bremsen. Er verzweifelt, weint, schreit, flucht. Ich werde dabei selber ganz wütend und zwang ihm schon öfter, mit diesem Sch… Spiel auf zu hören und was anderes zu spielen. Darauf hin wurde er noch wütender oder verzweifelter. Im Laufe der Zeit bemerkte ich, dass das keine Lösung war und bei mir kam innerlich eine Art “Aufgeben”. Ich beschloss, ihn einfach ragen zu lassen und einfach nur da zu sein für ihn. Es fiel mir richtig schwer, in meinem Kopf gingen die wirrsten Gedanken vor. Selbst dem gab ich Raum. Ich widerstand und ließ seinen Schmerz, so lächerlich die Ursache für mich auch war, bis zum Schluss fühlen. Sein Ragen war nach kurzer Zeit vorbei, die Tränen waren getrocknet und es war ein unglaublich schöner Vater-Sohn Moment. Nicht nur, dass ihm mehr gelang beim Spiel, aber ich spürte auch, dass er sich von mir verstanden fühlte. Ich selbst fühlte mich auch viel freier und hatte nicht das Gefühl, gegen ihn oder das Spiel kämpfen zu müssen, wie sonst immer.
Ausfühlen lassen kann ich nur empfehlen
Vielleicht probierst du das das nächste Mal, wenn dein Kind eine starke Emotion zeigt, das dich überfordert. Es wird nicht jedes Mal klappen und manchmal ist es erforderlich, dem Kind klar die Genzen zu zeigen. Eltern zu sein ist wirklich eine große Herausforderung und ich hoffe dieser Artikel hilft dir, eine etwas andere Sicht zu den Emotionen zu bekommen.